Morgendliche Vogelkunde

Auf der gegenüberliegenden Seite der Lagune geht gerade die Sonne auf. Wir sind etwas früher aufgestanden, eine vogelkundliche Exkursion steht auf dem Programm. Das Naturschutzgebiet von Crooked Tree ist ideal dafür. Hier können rund 260 der in Beize heimischen 395 Vogelarten beobachtet werden sowie zahlreiche Zugvögel, die hier überwintern oder nur auf der Durchreise Station machen.

Mit einem kleinen Boot fahren wir am Ufer entlang. Unweit des Stegs staksen einige Schneesichler (Eudocimus albusm; engl.: white ibis) im flachen Wasser. Sie haben ein weißes Gefieder, rote Beine und einen roten Schnabel mit einer dunklen Spitze. Dir Wasservögel werden bis zu 64 Zentimeter lang, erreichen eine Flügelspannweite von 94 Zentimetern und ernähren sich von Fischen, Weichtieren und Insekten.

Die Schneesichler teilen sich ihr Revier mit ein paar Gelbstirn-Blatthühnchen (Jacana spinosa; engl.: northern jacana), die bei den Einheimischen auch „Jesus Christ Bird“ genannt werden, weil sie scheinbar über das Wasser gehen. Tatsächlich laufen sie mit ihren langen Zehen über Seerosenblätter, um Insekten, Schnecken und anderes Getier aus dem Wasser zu fischen. Das Gefieder des 23 cm langen Vogels  ist am Kopf und Hals schwarz, an den Flügeloberseiten und am Rücken dunkelrotbraun und an den Flügelunterseiten blassgrün oder gelb. Der Schnabel und der weiche, fleischige Stirnschild sind gelb gefärbt.

Aus den Ästen zahlreicher im Wasser stehender Büsche scheinen weiße und gelbliche kokonartige Blüten zu wachsen. Es handelt sich um Eipakete und Reste dieser Gelege der hier heimischen Pomacea, einer subtropischen Süßwasserschnecke aus der Familie der Apfelschnecken (Ampullariidae; engl.: apple snails). Um die außerhalb des Wassers an den Ästen befestigten Eier vor Beschädigung und Austrocknung zu schützten, haben diese eine kalkigen Schale, die nach dem Schlüpfen zurückbleibt.

 

 

Auf die Schnecken als Nahrungsquelle haben sich gleich mehrere Vögel spezialisiert. Der Schneckenweih (rostrhamus sociabilis; engl.: snail kite) ist ein Greifvogel aus der Familie der Habichtartigen (Accipitridae). Er erreicht eine Länge von bis zu 48 Zentimeter und eine Spannweite von bis zu 115 Zentimeter. Der dünne Hakenschnabel ist perfekt angepasst für das Öffnen der Schneckenhäuser. Das Gefieder des erwachsenen Männchens ist dunkel blaugrau, die langen Beine orangerot. Rücken und Flügeloberseite der Weibchen dagegen sind dunkelbraun. Die Schneckenweihen ernähren sich fast ausschließlich von der Apfelschnecke. Wenn der auch Schneckenmilan genannte Greifvogel aus der Familie der Bussardartigen eine Schnecke erspäht, stößt er hinab, greift sie mit den Krallen aus dem Wasser und befördert sie zu seinem Hochsitz. Anschließend hält er sie mit einer oder beiden Krallen fest und durchtrennt mit seinem Hakensch rv. Der verschlossene Schneckenhausdeckel öffnet sich und er kann die nun schutzlose Schnecke aus ihrem Haus lösen und verzehren.

Ähnlich spezialisiert ist der Rallenkranich (aramus guarauna), der zu den Kranichvögeln gehört. Der englische Name limpkin (to limp = hinken) bezieht sich auf seinen scheinbar hinkenden Gang. Aufgrund seiner Größe, dem langen Schnabel und Hals sowie den langen Beine erinnert er an einen Ibis. Seine Körperlänge beträgt bis 71 cm, der nur unmerklich nach unten gebogene Schnabel ist zehn bis zwölf Zentimeter lang und grünlich gelb, zur Spitze hin dunkel bis schwarz gefärbt. Auch diese Schnabelform ist auf die Nahrungsquelle Apfelschnecke spezialisiert: Er am Ende leicht nach rechts gebogen, damit er in das rechtswindende Gehäuse eindringen kann. Hinzu kommt eine fast waagerechte Verdrehung der Spitze des Unterschnabels gegen die des Oberschnabels. Auf diese Weise wird die Schnabelspitze durch Reibung ständig geschärft. Sie wird zum Knacken des Operculum der Apfelschnecken eingesetzt und durchtrennt den Schließmuskel des Kriechtiers. Mit der fast zum Schnabelende reichenden Zunge, die an ihrer Spitze in mehrere hornige Streifen aufgefasert ist, kann der Rallenkranich die Schnecken außerdem leichter aus ihren Gehäusen ziehen.

Die ersten Sonnenstrahlen genießen auch zahlreiche Iguanas, die es sich auf den kahlen Ästen in den Wipfeln zahlreicher Bäume bequem gemacht haben. Es handelt sich dabei fast ausschließlich um die gelben Vertreter des Grünen Leguan (iguana iguana; engl.: green iguana). Die Männchen erreichen eine Körperlänge von bis zu 2 Meter. Entgegen ihrem Namen sind die meisten gräulich und rot-orange gefärbt. Die Reptilien haben einen massigen Kopf, den sie gelegentlich auffällig in die Sonne recken. Auffällig sind zwei bis drei kleine Hörner auf der Schnauze.

Auf einem kahlen Baum sitzen mehrere Rabengeier (coragyps atratus; engl.: black vulture), die gerade ihre vom Tau der Nacht noch feuchten Flügel in der Sonne trocknen. Die Aasfresser  haben eine Körperlänge von bis zu 74 Zentimetern, eine Flügelspannweite von bis zu 160 Zentimetern und können bis 1,9 kg schwer werden. Ihr  Gefieder glänzt schwarz in der Sonne, Kopf und Hals sind nackt.

Klein, aber aufgrund seines leuchtend gelben Brustgefieders nicht minder auffällig ist der  Trauertyrann (Tyrannus melancholicus; engl.: tropical kingbird). Der Schreivogel erreicht ausgewachsen eine Körperlänge von  bis zu 24 Zentimetern und wiegt durchschnittlich 35 Gramm. Scheitel und Nacken sind grau, die Kehle weiß. Die Flügel sind außen graugrün, die Unterseite leuchtend gelb und der Schwanz leicht gegabelt und braun. Trauertyrannen sind Insektenfresser und  halten hoch oben im Geäst der Uferbäume Ausschau nach Beute. Haben sie einen schmackhaften Brummer entdeckt, fliegen sie los und fangen das Insekt im Flug.

Und natürlich treffen wir auf unserer fast dreistündigen Bootstour immer wieder auf farbenprächtige Exemplare der Eisvogel-Familie.  Von ihnen gibt es fünf Arten in Belize, die alle hier zu beobachten sind: Der Gürtelfischer (Megaceryle alcyon; engl.: belted kingfisher) erreicht eine Körperlänge von bis zu 35 Zentimetern und  hat ein tiefblaues oder blau-graues Gefieder mit weißen Maskierungen, einem abstehenden Kamm und einem breiten weißen Halsfleck, der rund um den Nacken reicht. Der Rotbrustfischer (Megaceryle torquata; engl.: ringed kingfisher) gehört zu den größeren Eisvögeln und erreicht eine Größe von 40 Zentimetern. Seine Kopfoberseite und seine Flügel sind grau. Er trägt ein weißes Halsband. Seine Brust ist rötlich-orange. Der Amazonasfischer (Chloroceryle amazona; engl.: Amazon kingfisher) hat die typische Eisvogelform mit kurzem Schwanz und langem Schnabel. Oben ist er metallisch grün gefärbt, der Nacken und die Kehle sind weiß. Der weiße Bauch weist an den Flanken grüne Strichelungen auf. Die Brust des Männchens ist kastanienbraun, die des Weibchens weiß mit grünen Flecken an der Seite. Im Gegensatz zum ähnlichen Grünfischer hat der Amazonasfischer keine weißen Markierungen am Flügel. Außerdem ist er mit einer Länge von bis 30 Zentimetern und einem Gewicht von 110 g erheblich größer und schwerer. Der nur 13 cm lange Erzfischer (Chloroceryle aenea; engl.: American pygmy kingfisher) wird dagegen nur 18 g schwer. Auch er  hat wie die meisten Eisvögel einen kurzen Schwanz und einen langen Schnabel. Wie viele Vertreter der Familie ist auch diese Art sehr farbenprächtig. Die Oberseite ist oliv-grün, die Unterseite ist orange-rot, die Bauchmitte weiß. Weibchen haben ein schmales grünes Brustband. Am häufigsten beobachten wir den scheuen Grünfischer (Chloroceryle americana; engl.: green kingfisher). Er wird bis zu 27 g schwer und 19 Zentimeter lang. An der Oberseite ist er grün gefärbt mit weißen Flecken an Schwanz und Flügeln und einen weißen Kragen um den Hals. Das Männchen hat eine weiße Unterseite mit einem breiten kastanien-braunen Brustband und einigen grünen Flecken Die schmutzig-weiße Unterseite des Weibchens weist zwei grüne Bänder auf, die bis zu den grünen Flecken an den Flanken reichen.

Ein weiterer Greifvogel, den wir auf unserer morgendlichen Bootstour auf einem  Baum entdecken, ist ein  Schwarzer Habichtadler (spizaetus tyrannus; engl.: black hawk-eagle), auch Tyrann-Habichtadler genannt.

 

 

Bei dem Kanadareiher (ardea herodias; engl.: great blue heron), der uns kurz darauf begegnet, handelt es sich wahrscheinlich um einen Zugvogel, der hier überwintert. Mit einer Höhe von bis zu 127 Zentimetern ist er der größte Reiher Nordamerikas und ähnelt in seinem Äußeren dem in Europa verbreiteten Graureiher.

 

Mehrfach können wir auch kleine Gruppen des  Amerikanischen Schlangenhalsvogels (anhinga anhinga; engl.: anhinga) beobachten, der dem Kormoran ähnelt. Ausgewachsen erreicht er eine Körperlänge von etwa 85 Zentimetern, einer Flügelspanne von durchschnittlich 1,4 Meter und wiegt dann 1,4 Kilo. Der Schnabel ist schlank und spitz zulaufend, etwa doppelt so lang wie der Kopf und gelb. Das Gefieder ist schwarz und nicht wasserfest imprägniert, wie etwa bei Enten. Er kann daher nicht schwimmen, ist aber ein sehr guter Taucher und jagt so unter Wasser nach Fischen. Anschließend trocknet er sein Gefieder, indem er mit ausgebreiteten Flügeln auf einem Ast in der Sonne sitzt.

Auch wenn das Wasser der Lagune bei den feuchtheißen Temperaturen zu einem kleinen Bad einladend aussieht, sollte man dies tunlichst lassen. Die entsprechenden Warnungen haben wir schon am Vorabend unweit unserer Unterkunft gesehen. Hier leben Krokodile. Genauer gesagt: das Beulenkrokodil (crocodylus moreletii; engl.: Morelet’s crocodile bzw. Mexican crocodile), ein mittelamerikanischer Vertreter aus der Familie der Echten Krokodile. Das Reptil wird maximal bis zu 3,50 Meter lang und gehört somit zu den kleineren Arten der Krokodile. Es ist meist braun und durch schwarze Querstreifen und Flecken auf dem Körper und Schwanz gezeichnet. Die Schnauze der Tiere ist relativ breit und besitzt einen flachen Grat entlang der Nasenbeine. Namensgebend für den deutschen Namen sind die mächtigen verknöcherten Nackenschilde der Tiere, der Rückenpanzer ist ungleichmäßig beschuppt. Es ist ein schneller Jäger, doch heute scheinen die meisten dieser Artgenossen andere Reviere als das offene Wasser der Lagune zu bevorzugen. Steven, der fachkundige Guide unserer heutigen Tour, will schon aufgeben, als er schließlich mit geübtem Blick doch noch den Rücken eines jugendlichen Exemplars in der Wassermitte patrouillieren sieht. Abef kaum nähern wir uns dem offensichtlich scheuen Reptil, taucht dieses blitzschnell ab von der Oberfläche.

Die Exkursion war auf jeden Fall ein voller Erfolg und wir haben einen tollen Einblick in die Vogel- und Tierwelt von Belize bekommen. Nach zweieinhalb Stunden machen wir uns jetzt auf den Rückweg. In der Lodge wartet schon das Frühstück.

Unterkunft:
Birds Eye View Lodge
Crooked Tree Wildlife Sanctuary, P.O. Box 1976, Crooked Tree, Belize

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